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BGH: Hagelsturm für Vertipper - das Urteil wetteronline.de

Geposted am von RA Boris Hoeller

Die mit Spannung erwarteten Urteilsgründe wetteronline.de (I ZR 164/12) des Bundesgerichtshof hinterlassen mehr offene Fragen als dass sie die aufgeworfenen Rechtsfragen grundsätzlich klären. Ob die Regeln zu sog. "Tippfehler-Domains" nunmehr klar umrissen sind, dürfte eher zweifelhaft sein. Noch mehr: Anstatt Rechtsfrieden, dürfte Rechtsunsicherheit gesäät sein, ein Umstand, der auch fragwürdigen Annahmen des Bundesgerichtshofs zu tatsächlichen Gegebenheiten geschuldet sein dürfte und absehbar zu kuriosen Urteilen führen kann.

Zunächst nicht überraschend aber die Begründung des Bundesgerichtshofs in namenrechtlicher Hinsicht. Das Berufungsgericht hatte apodiktisch und kurzerhand eine Namensrechtsverletzung angenommen. Eine identische Verwendung des Namens sei zur Bejahung einer Namensrechtsverletzung nicht erforderlich, bei der Interessensabwägung könne sich der Beklagte auf keinerlei schutzwürdige Belange berufen (BU I, S. 6). Der Erfolg für die Revisionsangriffe gegen eine solche eigenwillige Rechtsfindung bedurfte keiner langen Begründung. Die vom Berufungsgericht gar nicht geprüfte Frage, ob dem klägerischen Name überhaupt namensmäßige Unterscheidungskraft zu kommt, hat der Bundesgerichtshof mit nur einem, fast selbstverständlichen Satz beantwortet (RU Rn. 19): "WetterOnline" beschreibe den Geschäftsgegenstand, "online" Informationen und Dienstleistungen zum Thema "Wetter" anzubieten. Das Berufungsgericht habe auch nicht festgestellt, dass "WetterOnline" über Verkehrsgeltung verfüge. Daher schieden sämtliche auf Namensrecht gestützte Ansprüche aus. Aber auch die weiteren Voraussetzungen für einen namensrechtlichen Anspruch seien nicht gegeben, urteilte der Bundesgerichtshof. Die Beeinträchtigung des Namensrechts durch die Registrierung eines Domainnamens liege in der durch die Registrierung einer Domain eintretenden Sperrwirkung, die es ausschließe, dass der Berechtigte unter seinem Namen als Teil einer Internetadresse aufgefunden werde. An einer vergleichbaren Interessensbeeinträchtigung fehle es in Bezug auf die Registrierung eines Domainnamens, der aus der fehlerhaften Schreibweise einer bereits zuvor registrierten Internetadresse gebildet sei. Umstände, die dafür sprechen könnten, dass die Klägerin auf die Domain angewiesen sei oder ein Interesse habe, die Domain selber zu nutzen, seien nicht festgestellt. Die revisionsrechtliche Überprüfung des Berufungsurteils in namensrechtlicher Hinsicht hat damit erhebliche Rechtsanwendungsfehler des Berufungsgerichts ergeben. Bedient sich ein Berufungsgericht starker Worte, dass die erstgerichtliche Verurteilung in namensrechtlicher Hinsicht "zu Recht erfolgt sei" und es ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung nicht zulasse, weil es "gesicherte Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Einzelfall" angewendet habe, will es den Eindruck erzeugen, dass sein Urteil unzweifelhaft im Einklang mit der Rechtsordnung steht und eine weitere Beschäftigung der Justiz mit dem Fall ausgeschlossen sein soll, weil jegliche Tatsachen- und Rechtsfragen mit dem Urteil beantwortet seien. Unterschiedliche Meinungen über eine Rechtsfrage kann man haben. Aber mit kraftvollen Worten zu Unrecht ein legitimes Rechtsmittel (hier: unter Behauptung falscher Tatsachen) abzuschneiden, dient nicht gerade dem Vertrauen in das Funktionieren der Justiz, sondern stellt einen Grundrechtsverstoß dar, wie das Bundesverfassungsgericht in anderer Sache dem im Streitfall erkennenden Berufungssenat bereits zur Last gelegt hatte ( BVerfG, 1 BvR 2365/11 vom 21.3.2012, Absatz-Nr. (1 - 33), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20120321_1bvr236511.html ). Das Berufungsurteil dürfte einen Platz in der Abteilung "vorbildliche Rechtsfindung" im Museum für den modernen Rechtsstaat wohl kaum einnehmen dürfen.

Teilweise überraschend aber der Begründungsansatz des Bundesgerichtshofs, wenn es nach den namensrechtlichen Ausführungen um die lauterkeitsrechtliche Beurteilung geht. Offenbar diente der Fall dem Bundesgerichtshof zu rechtspolitischen Rechtsfortbildung im Domainrecht. Die Nachricht: Tippfehler-Domains sind böse, Internetnutzerverärgerung wegen eigener Fehler wird Domaininhabern zugerechnet. Viel mehr läßt sich der Entscheidung rechtsgrundsätzlich leider nicht entnehmen, dem entsprechend dürfte die künftige Anwendung der mit dem Urteil einhergehenden Annahmen auch zu kurioser nicht mehr kalkulierbarer Rechtsanwendung führen.

Höchstrichterlich und rechtsgrundsätzlich ausgeurteilt erscheint jetzt zunächst, dass zwischen solchen Personen grundsätzlich ein Wettbewerbsverhältnis besteht, die ihre Internetseiten Dritten gegen Entgelt zu Werbezwecken zu Verfügung stellt. Die Attraktivität von Internetwerbung hänge nach der Lebenserfahrung davon ab, wie häufig und intensiv die Internetseite von Interessenten besucht werde. Leite eine Person Besucherströme durch das Betreiben einer "Tippfehler-Domain" um, fördere dies dessen Absatz und behindere die andere Person (RU, Rn. 26). Was genau eine "Tippfehler-Domain" ist und was unter dem Betreiben einer solchen zu verstehen ist, bedurfte für den Bundesgerichtshof offenbar keiner weiteren Erläuterung. Eine Suche nach dem Begriff "Tippfehler-Domain" in den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs liefert keine Ergebnisse (Stand: Momente vor der online Publikation des hier besprochenen Urteils), er ist neu im Sprachschatz des höchsten deutschen Zivilgerichts. Was unter welchen Voraussetzungen genau eine "Tippfehler-Domain" ist und unter welchen Voraussetzungen sie das nicht, bleibt damit erstmal offen.

"Wetteronlin.de" soll "Vertipper-Domain im Verhältnis zu "wetteronline.de" sein. Hierzu später mehr. Der letzlich einzige, eher funktionale, Hinweis des Bundesgerichtshof auf den Inhalt des Begriffs "Tippfehler-Domain" liegt in der Wortwendung "Umleiten von Besucherströmen". Vom Tatbestand eines "Umleiten von Besucherströmen" könnte im Internetdomain-Kontext sicherlich ausgegangen werden, wenn es eine Person unternimmt, etwa durch eine technische Manipulation an eine bestimmte Internetadresse gerichtete Anfragen abzufangen und diese auf ein anderes Angebot umzulenken, mit der Folge, dass nicht die Inhalte von der eingegebenen Internetadresse im Browser dargestellt werden, sondern eben zielgerichtet andere Inhalte. Aber ein solcher Fall bei dem nachvollziehbar von einem "Eindringen in einen fremden Kundenkreis, einem Ausspannen oder Abfangen von Kunden" durch unangemessene Einwirkung auf den Kunden durch ein sich zwischen den Kunden und den Mitbewerber stellen, um diesen ein Änderung ihres Entschlusses, das Angebot des Mitbewerbers in Anspruch zu nehmen, aufzudrängen, gesprochen werden kann, stand nicht im Ansatz zur Debatte. Gleichwohl hält der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen für ein unlauteres "Umleiten von Besucherströmen" in der Verwendung "des Domainnamens für eine Internetseite mit Versicherungswerbung" gegeben (RV Rn. 35). Dies erklärt er wie folgt: Der Inhaber einer "Tippfehler-Domain" leite den Kunden des Mitbewerbers dadurch auf das eigene Angebot, indem er typische und deshalb vorhersehbare Versehen bei der Adressangabe - entweder direkt in das Adressfeld seines Internetbrowsers oder in eine Suchmaschine - ausnutze (RU Rn. 36). Dadurch werde das Interesse des Mitbewerbers beeinträchtigt, ihre Leistung am Markt durch eigene Anstrengungen in angemessener Weise zur Geltung zur bringen. Durch den Betrieb der Internetseite mit der "Tippfehler-Domain" gingen dem Mitbewerber Aufrufe ihrer Internetseite verloren (RU Rn. 37). Selbst wenn der irregeleitete Nutzer alsbald bemerke, dass er nicht zu dem gewünschten Ziel gelangt sei, sei eine Behinderung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten des Mitbewerbers gegeben. Eine Vielzahl der Betroffenen werde sich aus Verärgerung oder weil sie sich mit dem Grund der Fehlleitung nicht näher befassen wollten einen anderen Dienst suchen, als denjenigen, den der Mitbewerber anbiete und den sie eigentlich nutzen wollten. Man könne nicht annehmen, dass die Nutzer den Fehler nur bei sich suchen und die richtige Schreibweise in der Browserzeile kontrollieren würden (RU S 39). Die unlautere Behinderung sei auch deshalb nicht zu verneinen, weil der Domainname, an den sich die beanstandete "Tippfehler-Domain" anlehne, aus einem rein beschreibenden Begriff bestehe. Der Verkehr würde auch beim aufrufen einer Internetseite mit einer generischen Internetadresse in Rechnung stellen, zum Angebot eines bestimmten Anbieters zu gelangen, weshalb solchen Domains der wettbewerbliche Schutz unter lauterkeitsrechtlichen Behinderungsverbotsgesichtspunkten nicht versagt werden könne (RV Rn. 41). So stellt der Bundesgerichtshof den Leitsatz auf: Das Verwenden eines Domainnamens, der aus der fehlerhaften Schreibweise einer bereits zuvor registrierten Internetadresse gebildet ist, verstoße unter dem Gesichtspunkt des Abfangens von Kunden gegen das Verbot unlauterer Behinderung, wenn der Internetnutzer auf eine Internetseite geleitet wird, auf der er nicht die zu erwartende Dienstleistung, sondern lediglich Werbung vorfindet.

So richtig der Gedankenansatz ist, dass es eher fernliegend ist, unter der Domain "wetteronline.de" einen Vergleich von Versicherungsanbietern zu erwarten, so unzutreffend ist aber der Gedanke aus diesem Umstand für die Streitkonstellation negative rechtliche Ansprüche herzuleiten zu können. Zwar mag es bei einem Großteil der deutschen Bevölkerung, auch Verbraucher genannt, einen Ordnungs- und Regelungstrieb geben, aufgrund dessen bestimmte Erwartungshaltungen auch hinsichtlich Internetadressen erwachsen. Aber können individuelle und spekulative Erwartungshaltungen ungeschriebene Gesetze begründen? Im Markenrecht werden ständig Gattungsbegriffe für bedeutungsfremde Waren und Dienstleistungen 'mißbraucht', ohne dass der Bundesgerichtshof auf den Gedanken gekommen wäre, dass dies eine unzulässige Begriffsausbeutung sei. Für den Streitfall kann aber schon schlicht festgehalten werden: Wer ordentlich "wetteronline.de" in die Adresszeile seines Browsers eintippt, wird und wurde auch auch nicht in seiner Erwartung enttäuscht. Der Verbraucher, der objektiv "wetteronlin.de" eintippt, subjektiv aber denkt, "wetteronline.de" eingetippt zu haben, wird vom Bundesgerichtshof als in seinen Interessen beeinträchtigt angesehen, namentlich in Form einer belästigenden Fehlleitung, wenn er dann auf einen Versicherungsvergleich trifft. Dies soll selbst dann gelten, wenn der Verbraucher den Dienst "wetteronline.de" nicht kenne, sondern nur wegen des beschreibenden Charakters des Domainnamens eingebe (RU Rn. 40). Das schreckt auf. Was aber wahrlich Sorge bereitet, ist das Begründungsniveau mit dem dem Domaininhaber ein Behinderungswettbewerb angelastet wird. Mal grundsätzlicher betrachtet, fördert bzw. etabliert das Urteil die rechtliche Relevanz von auf falschen Tatsachenannahmen gründenden subjektiven Verbrauchergefühlen nach eigenem, sorgfaltswidrigem Handeln mit unzutreffender Schuldzuweisung für den das emotionale Ereignis auslösenden Umstand, mit der Folge der Beschneidung von grundgesetzlich gewährten Freiheitsrechten für Unternehmern für ein nach einem Vergabewettbewerb regulärem Handeln, die für Sorgfaltswidrigkeit und unzutreffend ausgelöste Verbraucheremotionen haften sollen. Bisher durfte man davon ausgehen, dass grundsätzlich derjenige der sich aufgrund von eigenen Sorgfaltswidrigkeiten in eine besondere Situation gebracht hat, diese Suppe selber auszulöffeln hat. Ein Koch, der sich selbst die Suppe versalzt, darf legitimer Weise andere nicht für den eigenen Ärger über die nicht mehr schmackhafte Suppe verantwortlich machen. Der Verbraucher als übersensible und überemotionale "Diva"? Wo soll das hinführen, wenn ein Ärgergefühl, das seine Wurzeln in eigener Sorgfaltswidrigkeit geschlagen hat, zum Schutzrechtsgut erhoben wird? Mag es sein, dass "Vertipper-Domains" manchmal Ärger bereiten. Bei verständiger Betrachtung hat sich das - selbst wenn man es als solches sieht - Problem ohnehin durch die ständig voranschreitenden Internetbrowsertechnik schon heute überholt. Seien es "Autosuggests" oder anderen Techniken, von einem Problem, dass mit einem solcehn Verbalspagat zu lösen wäre, kann nun wirklich nicht die Rede sein.

Was für wen aus diesem Urteil des Bundesgerichtshofs inwieweit folgt - und wie lange - ist nicht wirklich abschätzbar. Es beginnt schon damit, dass der Bundesgerichtshof den Begriff "Tippfehler-Domain" in den Sprachschatz höchstrichterlicher Zivilrechtsrechtsprechung einführt, ohne diesen näher zu umschreiben. Jetzt muss mit einer Phase kurios anmutender, einem strengen deutschen Ordnungssinn folgender Instanz-Urteile gerechnet werden, deren Absurdität beim Bundesgerichtshof einen Bewußtseins- und Erkenntnisgewinn bewirken muss, um wieder zu bodenständigen Betrachtungsweisen zu gelangen. Muß sich der Domaininhaber "wetteonline.de" oder "retteronline.de" bald den Vorwurf gefallen lassen ein "Behinderer" zu sein, nur weil er sein Domain mit Werbung monetarisiert? Dem Bundesgerichtshof hätte es gut gestanden, selber sensibler Recht zu sprechen.

BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 - I ZR 164/12